Samstag, 27. Juli 2013

Zeitempfinden

Ein Kind hat wahnsinnig viel Zeit und keine Eile. Philosophisch betrachtet sind das sehr lobens- und nachahmenswerte Eigenschaften. Im täglichen Leben, in dem man hin und wieder etwas schaffen will, wird es zur Herausforderung, zwischen den verschiedenen Zeiterfahrungs-Ebenen hin- und herzuspringen, die zwischen den Zeiten ohne Kind und im Beruf und in den Zeiten mit Kind herrschen

Beispiel: Ein stinknormaler Tag
An der Arbeit erledigt man alles so schnell wie möglich, denn es ist immer mehr zu tun, als man schafft. Auf dem Weg zur S-Bahn ist Stechschritt angesagt, weil man zwar eigentlich drei S-Bahnen zur Auswahl hat, mit denen man pünktlich zum Kindergarten kommt. Uneigentlich nimmt man aber fast immer die letzte, mit der man es gerade so noch schafft.

16.20 Uhr Ankunft im in der Kita. Im Sommer der große Vorteil, dass man sich selber nicht erst mal aus den Wintersachen pellen muss, um im warmen Gruppenraum nicht in Winterjacke vor Hitze zu vergehen und dadurch ungeduldig(er als nötig) zu werden.

16.25 Uhr: Kind begrüßen. Erzieherin begrüßen. Manchmal ist es gut, wenn man Zeit hat, um sich hinzusetzen, dem Kind ein paar Minuten zuzuschauen, bevor es mitkommt. Wenn man es an solchen Tagen eilig hat, geht es nämlich nur mit Geschrei, das Kind aus seinem Versteck zu holen. Aber wenn man Zeit hat, kommt es irgendwann meist von alleine mit. Und manchmal läuft es auch einfach auf Dich zu, springt Dir in die Arme und will sofort los. Planen lässt sich das aber nicht.

16.30 Uhr: Beginn des Anziehens. Kind ist alt und geschickt genug, um sich selber anzuziehen. Die Erzieherinnen haben auf dem Elternabend extra noch mal darum gebeten, den Kindern die notwendige Zeit dafür zu geben, damit sie es üben. Kann man irgendwie einsehen. Zehrt aber trotzdem an den Nerven. Rechnen Sie im Winter mindestens 10 Minuten mehr, wenn Handschuhe, Mütze und Schal im Spiel sind, eventuell noch ein Schneeanzug.

16.40 Uhr: Heimweg. Oh, eine tote Ameise. Balancieren - drei Mal im Kreis um die Blumenrabatte, bis der Mutter kleine Rauchwölkchen aus den Ohren kommen, weil sie wirklich, wirklich nach Hause möchte. Da saß doch sonst immer die Katze. Das Auto ist blau. Das Auto ist grau. Das Auto ist dunkelgrün

16.50 Uhr: Ankunft zu Hause

Zusammengefasst: 30 Minuten zum Abholen und nach Hause kommen. Allein hätte ich von der S-Bahn 10 Minuten gebraucht. Wenn ich einen erwachsenen Freund abgeholt hätte, vielleicht 20. Manchmal kann ich es genießen und mich darauf einlassen. Manchmal regnet es und ich habe keinen Schirm und möchte wirklich, wirklich nach Hause.

1 Kommentar:

  1. So trefflich beschrieben. Dankeschön! Und so wahr!

    Wir versuchen an guten Tagen 10min vorher zu planen ... alles. Ankommen, Losfahren, Abendessen, Schlafanzüge anziehen..... wenn wir um spätestens um 8:00h in der Kita sein müssen "planen wir" das wir spätestens um 7:50h da sind und dann kann man noch in Ruhe das letzte Mandala und die gelbe Kordel betrachten, die Kind uns JETZT zeigen muss.

    Die Sportstunde beginnt um 15:30h - wir "planen" dass wir um 15:10h an der Turnhalle sind um dann um 15:20h umgezogen zu sein. Da ist dann auch noch die Schnecke auf der Turnhallentreppe mit drin ...

    Aber der geneigte Leser hat vielleicht im ersten Satz die drei Wörter !an guten Tagen! gelesen und hat erkannt, dass es in der Realität auch bei uns die ganz normale Hetzerei gibt.

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